Der Mond im Tarot ist in meinen Augen eine zutiefst missverstandene Karte. Ich lehne mich mit meiner Beschreibung weit aus dem Fenster, denn ich gehe einen vollkommen anderen Weg, als den, der in fast nahezu allen Erklärungen zu dieser achtzehnten Karte der Großen Arkana zu finden ist. Ich besitze viele Bücher über Tarot und einzig bei Barbara Walker¹ fand ich eine ähnliche Ansicht, wie der meinen. Wichtiger aber sind ihre Erläuterungen, die meine Theorie bekräftigen.

Ich bleibe meiner Empfindung treu und rufe ganz laut „Oh“ statt „Ohje“. Die Karte des Mondes ist zauberhaft, zutiefst mystisch und eine absolut stimmige Station des Narren, auf den nur noch drei weitere Lebensstationen warten.

Wahrsagerin mit Tarot Karten - Kerzen

Der Mond im Tarot

Mythen rund um den Mond finden sich auf dem ganzen Erdball verteilt. Seit Anbeginn der Zeit waren die Menschen mit der Mondkraft aufs Engste verbunden. Bei den Chaldäern, welche als Begründer der Astrologie gelten, basierten alle Berechnungen auf die Umläufe des Mondes und nicht der Sonne. Das mythenreiche, alte Ägypten wurde einst „Khemenu“ genannt, das „Land des Mondes.“ Die indigenen Völker der Polynesier sahen in dem Mond, oder hier besser in der Mondin, die ursprüngliche, jungfräuliche Mutter – die Schöpferin der gesamten Menschheit. Sie, so waren sie überzeugt, gebar alles Leben.

Nicht in allen, aber in vielen alten Kulturen, ist der Mond eng mit einer weiblichen Gottheit verbunden. So ist der Erdtrabant ein Ursymbol der großen Göttin, welche tausend Gesichter trägt.

Frau und Mond

Den Mond und die Frau eint ein unzertrennbares, magisches Band.

In einer Langzeitstudie², durchgeführt von der Chronobiologin Charlotte Fischer vom Lehrstuhl für Neurobiologie an der Universität Würzburg, untersuchte sie mit ihrem Team die Menstruationszyklen von 22 Frauen. Sie führten, teilweise über 32 Jahre, ein Tagebuch über ihre Zyklen.  „Alle drei Mondzyklen beeinflussen das Einsetzen der Menstruation bei Frauen“, so die Quintessenz der Studie. Im Detail kam heraus, dass in einem gewissen Lebensabschnitt der Zyklus der Frau synchron zu den Zyklen des Mondes verläuft, bei fast allen Frauen exakt zum Vollmond oder bis zu zwei Tagen davor.

Andere Studien zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit ein Kind zu empfangen zunimmt, je stärker der Zyklus der Frau mit dem Rhythmus des Mondes harmoniert. Auch wurde eruiert, dass die Geburtenrate zu Vollmond leicht an-, zu Neumond leicht absteigend ist. Vollmond-Kinder bevorzugen eine Geburt in der Nacht, Neumond-Kinder eher den Tag.

In der heutigen Welt, wo wir ständig dem Lichtsmog ausgesetzt sind, weicht der Zyklus mitunter von dem Lauf des Mondes ab. Der Überschuss an künstlichem Licht hat die uralten Zyklen durcheinander gebracht. Hinzu kommt, dass die Menstruation noch immer mit einem Tabu behaftet ist. Frauen werden als unrein betrachtet oder empfinden sich durch die Gehirnwäsche selbst so. Es findet ein Wandel statt, aber in zu winzigen Schritten. Dabei gab es einst eine Zeit, in der das reinigende Blut ein Zeichen der Fruchtbarkeit und somit heilig war. Die Blutung ist nichts dreckiges, sie ist ein Geschenk der Natur, vielleicht ja der Mondin. Es wird Zeit, es wieder zu ehren und anzuerkennen.

Der antike, griechische Schriftgelehrte Plutar (* um 45 in Chaironeia; † um 125) schrieb einst sinngemäß:

„Die Kraft des Mondes, die den Körper des Menschen nährt und ihn wachsen lässt, beginnt mit der „Gerinnung“ des Mondblutes der Mutter, aus deren Schoß neues Leben entsteht.“

In Teilen alter Kulturen war der Glaube verbreitet, nur die Mutter sei mit ihrem Kind eines Blutes, weil die Blutung der Frau an die Kräfte des Mondes gekoppelt ist. Noch im Mittelalter beteten die Frauen eher zum Mond und somit zur weiblich geprägten göttlichen Urkraft, als zu Gott. Im Christlichen findet sich die Mondsichelmadonna, auch Strahlenkranzmadonna genannt. Dieses Bildnis der Maria ist durch die Perikope, einem Abschnitt der Bibel, in der Offenbarung des Johannes geprägt. Die Gottesmutter steht, meist mit dem Jesuskind auf dem Arm, auf einer Mondsichel. Sie ist mit meist zwölf Sternen gekrönt und mit der Sonne bekleidet.

„Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen. Ein anderes Zeichen erschien am Himmel: ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war. Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt.“

Im Mittelalter war der Mond vor allem für die Portugiesen und die Franzosen „Unsere Mutter“ sowie die „Mutter Gottes“. Sie sprachen dem Mond, den Ursprung der Kinder zu. Alte Kinderreime aus beispielsweise dem Gebiet rund um die Loire erzählen, dass eine Frau, die im Traum ihr eigenes Abbild im Monde erblickt, eine Tochter gebären wird.

Ein Stückchen höher, im schottischen Raum, auf den Orkney Inseln, war eine Frau so lange nicht wirklich verheiratet, „bis sie [nicht] in der Nacht, in dem als ›Tempel des Mondes‹ bezeichneten megalithischen Steinkreis, für ihre Fruchtbarkeit gebetet hatte.“

Diese Kopplung der Mondin an die Empfängnis der Frau war einst weit verbreitet. Die Mutterkraft der Mondin empfängt im tiefen Glauben an eine Wiedergeburt die verstorbenen Seelen und sendet sie für ihre irdische Reinkarnation zurück. In den alten Veden ist zudem zu lesen, dass die Seelen, die mit dem Tod zur Mondin zurückkehren, von welchem sie auch einst kamen, dort von weiblichen Geistern verschlungen werden.

Die Darstellung des Halbmondes kann als ein Kelch, als eine Arche gesehen werden, einem starken Symbol der Fruchtbarkeit.

In den Schriften der Gnostiker³ ist zu lesen, dass die Seelen der Erleuchteten vom Mond angezogen werden. Die Seelen der Unwissenden aber kehren im Körper eines Tieres auf die Erde zurück. Und auch die Indigenen des südamerikanischen Kontinents glaubten, der Mond trage die Seele der Verstorbenen fort und halte sie unter seinem Gefäß verborgen.

Symbol triple Moon dreifacher Mond

Hekate, Triple Moon und Höllenhund

Vermutlich hast du das Symbol des dreifachen Mondes – dem Triple Moon – schon einmal gesehen. Diese dreifache Mondkraft ist eng mit der dreifachen Göttin verbunden. Ihre Aspekte sind Jungfrau – Mutter -Greisin oder auch (Wieder)Geburt – Leben – Tod.

Eine dieser Kräfte verkörpert sich in der berühmten Göttin Hekate. Die Kirche, welche den Kräften des Mondes feindselig gegenüberstand und in Frauen, die im Mondlicht tanzten, verteufelte Wesen sah, die mit Dämonen im Bunde waren, verurteilten Hekate als Königin der Hexen. Ihre Priesterinnen riefen, beispielsweise bei einer Weihe, die Geister des Mondes an, damit eine Seele sie bewohnen könne. Pure Gotteslästerung in den Augen der Kirchenväter. Ein Werk des Teufels.

Porphyrios, ein antiker Philosoph der neuplatonischen Richtung und namhafter Gelehrter, schrieb über die Verbindung der Hekate zum Mond:

„Der Mond ist Hekate … ihre Macht offenbart sich in drei Formen; wenn sie den Neumond als Symbol hat, dann ist sie eine Gestalt in weißen Gewändern und goldenen Sandalen mit erleuchteten Fackeln; den Korb, den sie trägt, wenn sie hoch am Himmel steht, ist ein Symbol für die Kultivierung der Ernte, die sie mit Zunahme ihres Lichtes reifen lässt.“

Waite Mond TarotkarteAuf den meisten Karten, so auch bei Waite und Crowley, sind zwei Hunde – beziehungsweise ein Hund und ein Wolf – abgebildet, die mitunter den Mond anheulen. Diese heulenden Hunde/Wölfe waren gefürchtet. Sie seien ein Omen des Todes, ein Zeichen der Hekate, dass der Lebensfaden an seinem Ende angekommen ist.

Die Veden und auch einige indoeuropäische Völker glaubten, dass die Pforte zum Tod von Hunden bewacht wird. Die Inselkelten fürchteten, dass ein Verstorbener von diesen Hunden angegriffen werden könnte, wenn das Wehgeschrei der Hinterbliebenen zu laut ist.

Hekate, die Göttin der Magie und der Totenbeschwörung, wird oft von Hunden oder auch Wölfen begleitet. Manchmal hat sie selbst drei Hundeköpfe.

Vielleicht scharrst du selbst schon mit den Pfoten, sorry Füßen, damit ich endlich auf den Punkt komme und keine endlosen Vorträge halte. Es ist mir jedoch ein Bedürfnis, nicht nur meine Ansicht der Karte in einer knappen Aufzählung herunter zu beten, sondern zu zeigen, warum ich mit der gängigen Interpretation der Mond-Tarot-Karte nicht mitgehen kann.

Ich versuche den Knoten jetzt enger zu ziehen und hoffe, dass es mir zumindest gelungen ist, die Spielräume der Interpretationen zu erweitern.

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Die achtzehnte Station des Narren

Es ist gut möglich, dass die Hunde/Wölfe Torwächter der Todespforte sind. In der griechischen Mythologie ist es Kerberos, der Höllenhund, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Der Mond ist aber keine Karte des Todes, denn diese Station hat der Narr schon hinter sich gelassen. Auch den Teufel hat er schon besucht.

So ist es doch gut möglich, dass die Hunde und Wölfe nur den Aspekt der Mondgöttin verstärken, die ja eng mit diesen in Verbindung steht, betrachten wir den einen Aspekt des Dreifachen Mondes, die Todesmutter oder alte Greisin – wie immer wir sie auch benennen wollen.

Die Kirche hat wirklich ganze Arbeit geleistet und so wundert es nicht, dass die Karte des Mondes oft negativ gedeutet wird. Sie zeige innere Ängste, tief verborgene Sorgen, verschleiert das Leben, ist eine Illusion, eine Verzerrung oder Symbol der Desorientierung. Ernsthaft?

Für mich macht das einfach keinen Sinn!

Die Große Arkana ist eine Reise des Narren durch die Stationen des Lebens. Der Tod (13) hat den Wandel eingeläutet, wir haben dem Teufel (14) ins Antlitz geschaut und uns für eine Kraft des Lebens entschieden. Mit dem Turm (16) sind endgültig die falschen Selbstbilder zusammengebrochen und der Lohn war die Befreiung des Narren, symbolisiert im Stern (17) von allem irdisch Anhaftenden.

Und nun soll der Mond verschleiern, falsche Illusionen erzeugen, für Desorientierung sorgen? Das entbehrt jeglicher Logik, zumal mit der neunzehnten Karte die erleuchtende Sonne folgt, im Weiteren das (jüngste) Gericht und letztendlich die Verschmelzung mit dem gesamten Universum. Ehrlich? Mir blutet mein Hexenherz, wenn die Karte des Mondes in solch ein unverdient schlechtes Licht gerückt wird.

Tarot Karte Mond CrowleyFür mich ist die Karte des Mondes eng mit unserer Intuition, auch unseren Instinkten verbunden, mit der Welt des Fühlens. Der Mond bringt Licht in die Dunkelheit, erhellt die dunklen Pfade. Der Narr hat eine Ebene erreicht, in der die Grenzen des scheinbar Unmöglichen überschritten sind. Der Verstand kann diese Dimensionen nicht mehr erfassen, für seine Tücken und seine Starre ist hier kein Platz mehr.

Wir sind vollkommen an die Zyklen des Seins angebunden. Es gilt, der eigenen Bestimmung zu folgen, dem eigenen Seelenplan. Der Narr hat auf seiner Reise alles losgelassen. Nun kann er ganz intuitiv dem eigenen Pfad folgen. Die Kraft der Mondin führt uns, so wie sie uns durch die Zyklen des Jahres führt.

Hund und Wolf heulen gemeinsam – das Domestizierte und das Wilde existieren gleichberechtigt nebeneinander. Beide dürfen sie gleichberechtigt ihre Stimmen erheben.

Aus dem Wasser kriecht der Krebs. Von selbigem Tierkreiszeichen ist der Mond der Herrscherplanet. Mond, Krebs und auch das Wasser sind klare Symbole unserer Gefühlswelten. Der Krebs ist zudem ein Symbol des langen Weges zur Erleuchtung (also zur Sonne – welch ein Zufall). Er steigt aus dem trüben Wasser auf und erhebt sich in die reine Luft der Erkenntnis.

Das tiefe Wissen, die Urkraft des Mondes – die Welt unserer Intuition, die Fruchtbarkeit des Weiblichen – leitet uns, wir haben die Zyklen des Lebens verstanden.


¹ Walker, Barbara G. (1994), Die Geheimnisse des Tarot – Mythen, Geschichte und Symbolik: Sonderausgabe. Gondrom Verlag.

² https://www.uni-wuerzburg.de/aktuelles/pressemitteilungen/single/news/im-gleichtakt-mit-dem-mond/ 

³ eine gängige Bezeichnung für christliche und jüdische, aber auch heidnische und hellenistische Intellektuelle (2./3. Jahrhundert)