Mit seiner achten Tarotkarte „Die Ausgleichung“ weicht Aleister Crowley von den meisten anderen Tarotkarten ab, die die achte Karte als „Die Kraft“ benennen. Vielleicht jedoch steckt in Crowleys Interpretation mehr Kraft, als in all den anderen Decks. Begeben wir uns auf die Suche, nach der Kraft in der Ausgleichung.

Wahrsagerin mit Tarot Karten - Kerzen

Die Ausgleichung, die achte Station der Narrenreise

Die Karte selbst wird durch eine blau-grüne Farbgebung bestimmt. Es sind Farben der Natur, das Blau des Himmels und das satte Grün der Erde. Es sind aber auch die Farben von Weisheit (blau) und des inneren Versinkens zur Erneuerung (grün).

Die Ausgleichung - TarotkarteEine Frau im transparenten Kleid nimmt den Hauptteil der Karte ein. Sie balanciert auf Zehenspitzen. Schaust du jedoch genau hin, so erkennst du, dass sie auf der Spitze des Schwertes steht, welche sie mit beiden Händen hält. Diese Pose erfordert höchste Konzentration.

Nur durch eine tiefe innere Ruhe kann sie das innere Gleichgewicht herstellen und die Balance halten. Damit diese innere Ruhe nicht durch äußere Faktoren gestört wird, trägt sie eine Maske. Sie richtet ihren Blick vom Außen ab. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich nach Innen, wie auch schon beim Wagenlenker der Fokus auf den inneren Pfad gelegt wurde. Durch diese intensive Innenschau können neue Ideen und Erkenntnisse reifen, die für den späteren Pfad von Bedeutung sind. Die Ausgleichung des inneren Geistes mit der liebenden Weisheit der Erkenntnisse wird auch durch den Mondsichel-Knauf ihres Schwertes symbolisiert.

Auf dem Kopf trägt sie eine Krone mit einer Schlange, die der Krone des ägyptischen Gottes der Weisheit Thoth sehr ähnelt. An dieser Krone hängen Eisenketten, an deren Ende die beiden Waagschalen hängen. In der linken Waagschale findet sich das Alpha (Α), in der rechten das Omega (Ω). So trägt die Waage alles vom Anfang bis zum Ende, in unser Alphabet übersetzt, alles von A bis Z. Die Ketten sind die Bindeglieder zwischen Ursache und Wirkung. Auf der Karte ist also die Ausgleichung von Ursache und Wirkung in perfekter Harmonie dargestellt.

Die Schultern der Frau zieren Straußenfedern der ägyptischen Göttin Ma’at. Sie ist eine Verkörperung der Gerechtigkeit. Als Totengöttin oblag es ihr, zum Totengericht mit eben dieser Straußenfeder das Herz der/s Toten auf seine Wahrhaftigkeit zu prüfen.

Auf der Karte findet sich auch die Ausgleichung zwischen den Polen des Weiblichen und des Männlichen. Der Thron besteht aus vier spitzen Pyramiden und aus Kugeln. Auch Yin (rund) und Yang (spitz) befinden sich in Harmonie. Die Ausgleichung zwischen Licht und Dunkelheit wird durch die Kreise mit den Strahlen in den vier Ecken verdeutlicht.

Die Frau selbst steht in einem Diamanten, einem Symbol des Lichtes. In der Spitze des Diamanten mündet die Krone, die Spitze des Schwertes trifft seinen untersten Punkt. In der Kabbalah ist das Schwert (Malkuth) die unterste Ebene des Bewusstseins und die Krone (die oberste Sephira, die Kether) ist die höchste Bewusstseinsstufe.

Exkurs in die Kabbalah

Die Tarotkarte geht in der Kabbalah den 22. Pfad, den Pfad Lamed., zwischen Tipharet (Schönheit, Bewusstwerdung) und Geburah (Stärke). Lamed ist der Pfad der Gerechtigkeit. Dieser Pfad führt zur Seelenmitte, zum erleuchteten Bewusstsein.

Dieser Weg ist eng mit dem Karma verbunden, das für unsere Handlungen steht, auch aus vorherigen Leben. Das Karma soll auf diesem Pfad in Einklang gebracht werden. Dies geschieht durch ein Gleichgewicht des eigenen Erlebens – durch die Harmonisierung des eigenen Willens.

Wir können das Karma als einen Akt der Anpassung an die Gerechtigkeit, die Ausgleichung sehen. Wir bringen alle Lebensereignisse in Harmonie: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Lassen wir alle unterdrückten Emotionen frei, so wird das Karma auf dem Pfad Lamed ausgeglichen. Dazu müssen die eigenen Emotionen nicht nur gesehen, sondern im Anschluss auch akzeptiert werden.

Wir zücken das Schwert der Gerechtigkeit und üben uns in Wahrheit, Fairness, Freundlichkeit und kommen so dem Tipharet, dem erleuchteten Bewusstsein näher. Wir tragen unsere emotionale Schuld ab.

Die Ausgleichung des Karmas zieht einen spirituellen Aufstieg nach sich, geformt durch inneres Wissen und dem erkennenden Herzen.

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Was Crowley selbst zu sagen hat

Der Altmeister nennt die Karte „Die Ausgleichung“ oder auch die „traditionelle Gerechtigkeit„. Er spricht bei der Maskierten von der Darstellung der erfüllten Frau, die das Universum wiegt – das Alpha, das Erste, bis hin zum Omega, dem Letzten. Er nennt es einen Prozess der Erfüllung, wenn die Waage in Balance gehalten wird.

Crowley sagt, die Natur ist nicht gleichbedeutend mit Gerechtigkeit, sie wird durch die Handlungen, die zur Erzeugung des Gleichgewichts nötig sind, zur „La Justesse“ – zur Ausgleichung (Richtigkeit).

Weiter sagt Crowley über seine erfüllte Frau:

Schließlich ist diese Frau der ursprüngliche Harlekin [Anm. der Narr], denn die wilde Mischung aus Farbe und Bewegung löst sich in ein Gleichgewicht aller möglichen Sinneswahrnehmungen auf.

Das bedeutet, der Narr / die Närrin ist schon ein gutes Stück des Weges gegangen, hat viel erfahren und darf sich nun, wie auch schon mittels des Wagens und nachfolgend des Eremiten innerlich nachjustieren.

Die Karte kann nach Crowley die Gerechtigkeit anzeigen, beziehungsweise, einen Vorgang des Ausgleichens. Sie fragt, was muss in Balance gebracht werden, um Gerechtigkeit zu erlangen? Die Ausgleichung kann eine Aufforderung sein, alle Handlungen einzustellen, die noch auf eine Entscheidung warten. Denke, bevor du in Aktion trittst.

Die Karte kann die Ankündigung einer Hochzeit sein oder ein Vorbote sonstiger zukünftiger Bündnisse.

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Welche Botschaften können verborgen sein?

Die Karte fordert nahezu dazu auf, das eigene Leben einmal tiefgründig zu hinterfragen. Vor allem geht es auch darum, im eigenen Leben alle gegensätzlichen Pole zu erkennen und sie in die Ausgleichung zueinander zu bringen. Das kann dir tiefen inneren Frieden schenken, dich ihm zumindest ein gutes Stück näher bringen.

Es gilt also, sich zu besinnen, zur Ruhe zu kommen und tief nach Innen zu schauen. Es ist Zeit, das Schwert ruhen zu lassen und nicht mehr an allen möglichen Fronten zu kämpfen. Einfach mal alles fallen lassen, alles abschweifen – sich nach außen hin maskieren und eine Reise in das Innere antreten.

Die Karte fordert auch dazu auf, für das Leben selbst offen zu sein. Das geht nur, wenn wir das Klingen der Schwerter verstummen lassen und wahrhaftig lauschen. Und genau diese Art des Innehalten, die Bereitschaft, die aus der Balance geratenen Pole wieder in die Ausgleichung zu bringen, ist eine Quelle der Kraft.

Alles im Leben hat seine Ordnung, egal wie sehr wir versuchen, dagegen anzukämpfen. Es ist an der Zeit, diese Ordnung hinter allen Ereignissen zu erkennen, die Schlüssel zum Leben zu finden. Dieser Weg wurde auf dem Wagen eingeschlagen und geht auch in der nächsten Tarotkarte, mit dem Eremiten (9) weiter. Auf der Narrenreise sind es diese drei Stationen, die uns in die Tiefe unseres Selbst führen. Sie sind außerordentlich wichtig für uns. Meistern wir diese Stufen, so offenbart sich uns das Glück (10).

Alles was auf der Reise durch das Tarot aus der Null hervorgegangen ist, erscheint als Polarität – ausnahmslos. Diese Polarität ist es, die letztendlich für die Balance selbst sorgt. Zu allem in diesem Universum gibt es ein Gegenstück – dieser Zustand selbst ist die Quelle der Harmonie.

Finde also den Schlüssel zu dem Geheimnis der Waage, die in einer kosmischen Balance zum Ausgleich kommt. Erkenne: Hinter allen Erfahrungen des Lebens liegt eine tiefe, ausgleichende Kraft, ein stetiges universelles Gleichgewicht. Möchtest du dieses Gleichgewicht in dir selbst finden und spüren, so kannst du beispielsweise den Weg des Meditierens gehen. Es wird dir helfen, Frieden mit deiner inneren Unruhe zu schließen. Die Meditation beseitigt nicht die Faktoren, die du als störend, als nervig und ärgerlich betrachtest, aber sie schenkt dir den Schlüssel der Gelassenheit, eine stoische Ruhe und innere Freiheit.

Unser aller Leben zeigt sich mit vielerlei Masken. Es ist Zeit, diese Masken abzunehmen. Es ist Zeit, dass wir erkennen, dass alle Gesichter dahinter ein und dasselbe sind – die universelle göttliche Kraft und Liebe. – Welche Quelle auch immer für dich das Göttliche haben mag. Für mich ist es das Universum selbst und alle in ihm schwingenden Energien.

Das Innehalten hat die Kraft, alles Wankelmütige in dir zu erkennen und zu Fall zu bringen. So ermuntert die Ausgleichung, alle Extreme des Lebens zu meiden, um in einem Zustand der Harmonie, der Balance zu existieren.

Wie die Frau, auf der Spitze des Schwertes stehend, gilt es immer wieder die eigene Mitte zu finden. Das führt dich zu einem immer höheren Bewusstsein, zu mehr innere Ruhe und Klarheit. Also finde die Punkte, die dein Gleichgewicht stören und stelle die Balance des Lebens wieder her.

Wie eingangs erwähnt, wird die Karte oft „Die Kraft“ genannt. Crowley symbolisiert mit seiner Karte der Ausgleichung, das Gleichgewicht der wirkenden Kräfte, bei Rider Waite werden wir durch die Erlangung der eigenen Kraft zur Löwenbändigerin.

Die maskierte, erfüllte Frau des Crowley Tarots, verkündet das göttliche Gesetz der Balance. Sie trägt das Wissen in sich: Wie oben, so unten. Sie hält das Universum und das eigene Bewusstsein in Balance, indem der eigene Wandel immer wieder in die Ausgleichung gebracht wird. Das Geschenk ihrer und auch deiner meditativen Zentrierung ist das Erkennen der inneren göttlichen Kraft.


Quellen:

Crowley, Aleister (2019), Toth Tarot: Originalausgabe (2. Aufl.).Krummwisch AGM-Urania.

Angeles Arrien (2001), Handbuch Crowley Tarot: Praxisbezogene Anleitung zur Interpretation des Aleister Crowley Tarots (4. Aufl.).Neuhausen/Schweiz Urania Verlags AG. [online: http://rkspiele.de/wordpress/wp-content/uploads/2015/04/Tarot-Hanbuch.pdf. [Stand 20.04.2021]]

docplayer.org: Gerd Ziegler. Tarot: Spiegel der Seele. Handbuch zum Crowley-Tarot. (Stand unbekannt). http://docplayer.org/12116343-Gerd-ziegler-tarot-spiegel-der-seele-handbuch-zum-crowley-tarot.html. [20.04.2021]