Der Gehängte ist die zwölfte Station im Tarot. Die Hälfte der Reise liegt hinter dem Narren. Er ist dabei auf vielen Pfaden gewandelt, hat Höhen und Tiefen durchschritten und hat gelernt, eigene Wege zu gehen. Dafür wurde er oft belächelt, vielleicht auch bekämpft – aber er blieb sich selbst treu.

Diese Treue sich selbst gegenüber wird an der Station „Der Gehängte“ auf die Probe gestellt. Diese Karte markiert einen sehr entscheidenden Wendepunkt. Wird der Narr seinem eigenen Weg weiterhin folgen, auch auf die Gefahr hin, ein Außenseiter zu sein?

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Der Gehängte im Tarot

Schaue ich mir die Karte des Gehängten an, so denke ich: Okay, hier hänge ich wohl erstmal in der Luft! Das Leben zwingt mich zu einer Pause – aber warum?

Ist es an der Zeit, etwas loszulassen? Soll ich vielleicht ein Opfer bringen? Unwillkürlich taucht das Bild von Odin in mir auf, wie er hing am Weltenbaum.

Ich lasse die Karte auf mich wirken und zwei Gedanken steigen aus der Tiefe empor:

  1. Was ist richtig in meinem Leben?
  2. Ich vertraue darauf, dass ich es verstehen und dementsprechend handeln werde. Diese Zuversicht strahlt mir durch seine Unbekümmertheit entgegen, aber auch durch den Strahlenkranz um seinem Kopf.

Insofern ist diese Station des Lebens auch ein Punkt der Heilung. Was nicht passt, das darf im Anschluss gehen, darf ich mit der Folgekarte des Todes sterben lassen. Ich kann beispielsweise meinen Stand in dieser Gemeinschaft opfern, um der eigenen Überzeugung treu zu bleiben, was mich wohl näher an die eigene Ganzheit führt.

Ich muss aber auch Verantwortung übernehmen, den Weg suchen, um in Folge eben nicht mehr in der Luft zu hängen.

Die Welt ist auf den Kopf gestellt

Der Gehängte baumelt aber nicht irgendwie in der Luft. Mir ist kein Deck bekannt, wo er nicht kopfüber abgebildet ist. Die Welt ist auf den Kopf gestellt, die Perspektive hat gewechselt. Möchten wir unsere eigenen Standpunkte prüfen, so ist es absolut hilfreich einen anderen Betrachtungswinkel einzunehmen. Es hilft, die Welt besser zu verstehen, als wenn wir immer den gleichen Blickwinkel beibehalten.

Das konditionierte Ego aufgeben

Lasse dich baumeln mit einer anderen, neuen Sicht auf das Leben. Lass einfach mal von all dem los, was dir vertraut ist und nimm dir die Zeit, neue Erfahrungen zu sammeln. Lasse nicht zu, dass das Leben dich kontrolliert, sondern sei bereit Opfer zu bringen, um dein Leben selbst zu bestimmen.

Sei bereit dein konditioniertes Ego aufzugeben.

Odin hing am windigen Weltenbaum, verwundet vom eigenen Speer. Er opferte sich selbst, um Wissen und Weisheit zu erlangen. Er war der Schöpfer seiner eigenen Initiation.

Der Gehängte macht Mut, auch wenn der Preis der Weg durch die eigene Angst ist. Erhänge dein Selbst und schau, was überlebt. Wer bist wirklich du?

Den Ritus einer Initiation kennen wir beispielsweise aus dem Schamanismus. In der Ausbildung durchlaufen wir viele Stationen und es kommt der Moment, wo es an der Zeit ist, sich dem Raum zwischen den Welten hinzugeben und neu zu erwachen. Das alte Leben wird auf den Kopf gestellt. Nicht selten geraten wir dann in einen Zwischenraum auf unserem Weg der Erneuerung, wo wir wahrlich in der Luft hängen.

Das Leben steht also Kopf. Strample nicht, versuche nicht krampfhaft empor zu klettern, sondern lasse los, lasse dich hängen – ganz bewusst und mit offenen Augen.

Lass es einfach geschehen. Der Gehängte wirkt auf den Karten meistens völlig gelassen, entspannt, meditativ und frei von Schmerzen. Er hat sich freiwillig in diese Position begeben und kämpft nicht dagegen an.

Bist du bereit, in Stille zu betrachten?

Bist du bereit, neue Perspektiven einzunehmen?

Die Karte ist ein Übergang, die Veränderung kommt.

Der Gehängte stirbt nicht, wie es sonst an einem Galgen üblich ist. Er betrachtet die Ebenen zwischen den Welten, kann die eigene irdische Welt sehen, aber auch die Anderswelt. So findet er zu seinen Geheimnissen, wie Odin zur Weisheit. Der Ritus zu hängen, ist eine Prüfung des Lebens selbst.

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Der Gehängte im Rider-Waite Tarot

Der Gehängte - Waite TarotEs sollte bemerkt werden, (1) daß der Opferbaum aus lebendem Holz besteht und Blätter besitzt; (2) daß das Gesicht tiefe Versunkenheit ausdrückt und nicht Leiden; (3) daß die Gestalt als Ganzes auf das Leben im Stillstand hinweist, aber wohlgemerkt Leben und nicht Tod.

Waite sagt, dass die Bedeutung der Karte sehr tiefgründig ist, die Bedeutung selbst aber sei verhüllt.

Sein Gehängter wirkt sehr entspannt, sein Kopf ist von einem Strahlenkranz umringt. Dei Karte soll die „Beziehung zwischen dem Göttlichen und dem Universum“ ausdrücken. Es geht um die höhere Natur in uns, der göttliche Funke im Irdischen sowie dem Erwachen dieser Erkenntnis.

„[…] den geheiligten Mysterium des Todes“ folgt „das erhabene Mysterium der Wiederauferstehung“.

Der Gehängte im Waite Tarot drückt eine tiefe Verbundenheit mit spirituellen Werten aus. Die eigene (spirituelle) Wahrheit wurde gefunden, das Gesicht erstrahlt – es erleuchtet.

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Der Gehängte im Crowley Thoth-Tarot

Der Gehängte im Crowley Tarot ist nackt, was seine Hingabe und seine Opferbereitschaft unterstreicht. Sein Kopf ist kahl, sein Ego darf vollständig sterben. Er hängt am linken Fuß, welcher für das Unbewusste steht. Über seinem gebundenen Fuß das Ankh, der Faden des Lebens – die Schleife des Lebens. Das Dreieck, welches seine Arme bilden, drückt das Göttliche aus. Der grün strahlende Hintergrund schenkt Hoffnung. Die schwarze Schlange jedoch zeigt die Bereitschaft zu sterben – die Bereitschaft, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Die Gitter, die starren Muster des Lebens liegen hinter ihm.

Crowley nennt die Karte auch, den sterbenden Gott.

Über die gekreuzten Beine, das rechte über dem linken, und das Dreieck der Arme sagt er:

Dies ergibt das Symbol eines von einem Kreuz überragten Dreiecks, das den Abstieg des Lichtes in die Dunkelheit darstellt, um diese zu erlösen.

Der Gott ist bereit zu sterben.

Der Gehängte - Aleister Crowley TarotDas Opfer an das Leben selbst ist hier entweder vom Schicksal erzwungen oder freiwillig. Es kann sich laut Crowley auch um eine Form der Bestrafung handeln. Die Karte erfordert Leiden, erzählt von Niederlagen, Fehlschlägen und dem Tod. Ein sehr düsteres Bild, welches Crowley hier beschwört.

Hinter all der Dunkelheit aber lebt die Hingabe. Die einschränkenden Muster werden durchbrochen, auch wenn wir dadurch durch den Schmerz selbst gehen müssen. Haben wir unser Ego gottesgleich erhoben, so ist es an der Zeit, es sterben zu lassen. Es wird Zeit, das Leben anzunehmen wie es ist und sich völlig hinzugeben.

Von welchen Beschränkungen (Göttern) bist du bereit dich zu lösen?

Es gib mehr Wahrheiten im Leben, als nur die EINE. Wir können sie finden, wenn wir uns einfach mal vollkommen nackt kopfüber hängen lassen. Die schlafenden Schlangen auf dieser Station müssen erweckt werden, damit die wahre Lebenskraft, unser Kundalini fließen kann.

Crowleys hängender Mann scheint scheinbar festzustecken, sich nicht so leicht aus seiner Lage befreien zu können. Heißt das nicht auch: Nun gibt es keine Ausflüchte mehr? Keinen weiteren Raum für unsere Spielchen, sondern einen Raum, wo wir uns den Tatsachen stellen müssen?

Der Gehängte ist an einem Lebenspunkt, wo es kein Entrinnen mehr gibt. Er ist nackt, die Augen sind geschlossen, die Haare geschoren. Er muss kapitulieren, sich der Wahrheit stellen und sich aus dem Hamsterrad befreien. Sein Leben ist der frühe Tod, wenn er es nicht versucht und er muss bereit sein zu sterben, um zu leben.

Der Gehängte beugt sich dem Leben selbst, gibt sich vollkommen hin. Er steht für Aufopferung, Hingabe, für ein Feststecken, eine freiwillige oder erzwungene Pause. Er darf nun Klarheit und somit seinen eigenen Weg erneut finden.


Quellen:

Walker, Barbara G. (1994), Die Geheimnisse des Tarot – Mythen, Geschichte und Symbolik: Sonderausgabe. Gondrom Verlag.

Crowley, Aleister (2019), Toth Tarot: Originalausgabe (2. Aufl.).Krummwisch AGM-Urania.

Waite, Arthur Edward (01. Januar 1978), Der Bilderschlüssel zum Tarot: Erste Auflage, Urania.

Angeles Arrien (2001), Handbuch Crowley Tarot: Praxisbezogene Anleitung zur Interpretation des Aleister Crowley Tarots (4. Aufl.).Neuhausen/Schweiz Urania Verlags AG. [online: http://rkspiele.de/wordpress/wp-content/uploads/2015/04/Tarot-Hanbuch.pdf. [Stand 09.07.2021]]

docplayer.org: Gerd Ziegler. Tarot: Spiegel der Seele. Handbuch zum Crowley-Tarot. (Stand unbekannt). http://docplayer.org/12116343-Gerd-ziegler-tarot-spiegel-der-seele-handbuch-zum-crowley-tarot.html. [09.07.2021]