Die drei Nornen: Das Schicksal eines jeden einzelnen Menschen, so heißt es in der nordischen Mythologie, liegt in ihrer Hand. Von diesen weisen Frauen berichtet die Völuspa, die Prophezeiung der Seherin. Es ist wohl das bedeutsamste Gedicht der alten, nordischen Mythen. Es ist das erste Göttergedicht der Lieder-Edda und führt diesen Band an. Geschrieben von verschiedenen, unbekannten Autoren, wurde es im Mittelalter in ein Werk gebunden.

Die Völuspa – die Weissagung der Seherin – berichtet von der Entstehung und dem Ende der Welt und sie berichtet auch von den drei Nornen.

Von dort kommen Mädchen, viel wissende,

drei aus dem Wasser, das unterm Baum liegt;

Urd hieß man die eine, die andere Werdandi,

– sie ritzten ins Holz -, Skuld die dritte;

sie legten Bestimmungen fest, sie wählten das Leben

den Menschenkindern, das Schicksal der Männer.

(übersetzt von Arnulf Krause)

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Am Urdbrunnen, an einer der drei Wurzeln Yggdrasils, weben diese drei Nornen das Schicksal aller Wesen. Von der Stunde unserer Geburt bis zum letzten Atemzug haben sie die Fäden in der Hand. Sie sind die Schicksalsweberinnen.

Dreifach ist der Schritt der Zeit.

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,

Pfeilschnell ist das jetzt entflogen,

Ewig still steht die Vergangenheit.

(Friedrich Schiller)

Die Fäden glänzen silbern am Brunnen unter der mächtigen Wurzel des Weltenbaumes Yggdrasil. Sie erhalten die silbernen Fäden von Frigg, der Großen Mutter, welche uns heute eher als die Frau Holle im Märchen bekannt ist. Höre dir gerne ihre Geschichten von mir erzählt auf Youtube an – Frau Holle, die Göttin im Holunder.

Die große Göttin Frigg also spinnt die Fäden emsig mit ihrer magischen Spindel. Diese dreht sich und dreht sich und steht nur an den Rauhnächten still, wenn sie sich mit der Wilden Jagd in die Lüfte erhebt und im Geheul der Stürme des Nachts durch die Lande zieht.

Der Begriff Nornen spiegelt sich im Germanischen „nornô“ wider. Er leitet sich vermutlich von dem indogermanischen Wort norhni“ ab. Nornô ist die Verknüpfung, auch die Verknüpferin.  Es gibt noch eine andere These, in welcher vermutet wird, dass der Name der Nornen von dem Wort ner“ für einfädeln abstammt. Eine dritte Möglichkeit bietet eine Herleitung von dem Wort norhsn“, die Männertöterin. Dies erscheint aber in Bezug auf die Überlieferungen doch recht unwahrscheinlich.

Woher kamen die drei Nornen?

Die drei Nornen YggdrasilDie Riesen, welche schon vor der Schaffung des Weltenbaumes Yggdrasils lebten, sind noch älter als die Götter selbst. Das Erscheinen der drei Nornen begann, als das glückliche Leben des Göttergeschlechtes der Asen sein Ende fand. Die drei Nornen kamen aus Riesenheim und es heißt eine der drei entstammt dem Geschlecht der Riesen.

Weitere Nornen, so steht es geschrieben, finden sich im Stamme der Asen, dem Stamme der Elben und auch im Stamme der Zwerge.

Es gibt sehr viele Nornen, aber nur diese drei, deren Geschichte heute erzählt wird, haben einen ganz besonderen Status.

 

Wer sind diese drei besonderen Nornen?

Die heute geläufigsten Namen der drei Nornen lauten Urd, Werdandi und Skuld. Der Ursprung dieser Namen ist noch nicht sehr alt. Die einstigen Namen sind jedoch unbekannt. Ebenso wurden die drei Nornen erst in jüngerer Zeit zu einer Abstraktionen der Zeit:

  • Urd, die Alte und Norne der Vergangenheit
  • Werdandi, die Mütterliche und Norne der Gegenwart
  • Skuld, die Jungfräuliche und Norne der Zukunft

aber auch

  • Urd die Gewordene
  • Werdandi die Werdende
  • Skuld die werden Sollende

Es gibt noch eine weitere Form der Einteilung: Skuld ist hierbei die weiße, Werdandi die rote und Urd die schwarze Norne.

„Urd“, die älteste Norne ist die Namensgeberin für den Brunnen, an welchem sie leben. Sie ist also die Norne der Vergangenheit. Eine weise Alte – eine Völva, eine Seherin im Reich des alten Pfades.  Urd ( – altnordisch Urðr– ) ist das Schicksal. Es scheint eng verknüpft mit dem altsächsischen Begriff „wurd ( – angelsächsisch „wyrd“ – ), welches ebenfalls für das Schicksals steht, insbesondere aber auch dem Tod, dem Verhängnis und dem Geschick.

Das Wirken der drei Nornen

Die Walküren, welche ebenfalls Einfluss auf das Schicksal nehmen können, stehen im Dienste Odins. Die drei Nornen aber sind vollkommen unabhängig von den Mächten der Götter und Göttinnen. Ja es scheint gar, als müssten sich sämtliche nordische Gottheiten ihrem Schicksal ebenso ergeben wie wir Menschen.

Im alltäglichen Leben sind es die Nornen, welche die Todgeweihten erwählen, die in der Unterwelt der Göttin Hel ein trostloses Ende finden.

Es steht geschrieben, die Nornen sehen die Zukunft aller Wesen, auch die von Odin. So erfuhr er aus ihrem Mund, dass ihn zum Untergang der Welt, dem Tag des Ragnaröks, der Fenriswolf verschlingen wird. Odin fürchtete sich so sehr vor dieser Prophezeiung, dass er den Wolf an den unzertrennbaren Faden Gleipnir legen ließ. Ein Zauberband geschmiedet mit der Magie der Zwerge. Für Ragnarök selbst erwählte er die tapfersten Krieger, die ihn nach Walhalla begleiten dürfen um bei der letzten Schlacht an seiner Seite zu kämpfen.

Und doch konnte er dem schrecklichen Fenriswolf nicht entkommen. Das Schicksal war längst besiegelt und unumgänglich.

Es sind übrigens die Walküren, die im Auftrag Odins diejenigen auf dem Schlachtfeld auswählen, die berufen sind, nach Walhalla zu gehen. Der mächtige Gott, Gebieter über den Tod, durchbohrt mitunter höchstpersönlich jene mit einem Speerwurf, die des Todes sind.  Allerdings muss er sich seine „Beute“ mit der Liebesgöttin und großen Magierin Freyja teilen, welche ebenfalls ihren Anspruch auf Gefallene geltend macht. Freya aber tötet die Gefallenen nicht, sie erweckt sie zu neuem Leben.

Die Nornen sind es auch, die den Weltenbaum hüten und pflegen, welcher stetigen Gefahren ausgesetzt ist. Da gibt es beispielsweise die Schlangen Goinn und Moinn, zwei der bösartigsten Geschöpfe unter den Wurzeln Yggdrasils, welche dem mindestens ebenso boshaften Dracehn Nidhöggr fleißig beim Annagen der Wurzeln helfen.

Ferner erzählt man, dass die Nornen, die am Urdabrunnen hausen, täglich Wasser aus dem Brunnen schöpfen und dazu den Schlamm, der um die Quelle herum liegt, und dies über die Esche ausgießen, damit ihre Zweige nicht verdorren oder verfaulen. Dies Wasser ist so heilig, dass alle Dinge, die in jene Quelle geraten, so weiß werden wie die Haut, die man Skjall nennt und die innen an der Eierschale sitzt.

aus dem Gylfagynning in der Snorra Edda

Allvater Odin

Die Runenstäbe, die Los-Stäbe werfen

Die drei Nornen weben nicht nur unser Schicksal und das aller anderen Wesen, sie werfen auch die sogenannten Los-Stäbchen. Mit diesen Stäbchen orakeln sie über das Leben, das Los der Menschen. So wie die Stäbchen fallen, so heißt es, so wird das Leben verlaufen.

Es heißt, Urd und Werdandi werfen diese Lose des Lebens. Skuld, die Norne der Zukunft, ist dazu bestimmt dieses Schicksal aufzunehmen. Die Vergangenheit und die Gegenwart bestimmen die Zukunft. So ist es zu jeder Zeit in jedem Leben.

Sie schnitten Stäbe;
[…]
Sie legten Lose,
das Leben bestimmten sie
den Geschlechtern der Menschen,
das Schicksal verkündend.

Ob nun webend oder Stäbe ritzend – sie bestimmen das Schicksal der Menschen. Diese Stäbe beziehen sich auf die Runen. Die Rune des Schicksals ist übrigens die Naudhiz, welche somit mit der Kraft der Nornen verbunden ist – aber das nur am Rande.

In Odins Runenlied erblickte der Gott eben jene Runen, ausgeworfen zu seinen Füßen, als er vom Speer tödlich verbunden neun Nächte im Weltenbaum hang – ein Inititationsritus für den mächtigen Odin.

Divination des Schicksals

Die drei Nornen haben die Gabe jedes Schicksal vorauszusehen. Auch unter uns Menschen gibt es Frauen, die mehr sehen als andere. Diese Frauen werden Völva (auch Wölva) genannt – die Stabträgerin und Seherin. Der Stab ist das Symbol für ihre übernatürlichen Kräfte. Die Nornen der Kelten finden sich in der dreifachen Göttin, verkörpert in Brigid, Modron und Cailleach. Ihr Kraftstab ist aus Holunder. Brigid erhält zu Imbolc den Stab von Cailleach, welchen ihn zu Samhain von Modron bekam.

 

Neues Leben

Erblickt ein Menschenkind das Licht der Welt, so sind die drei Nornen zugegen. Nur unterstützen sie in keinerlei Art und Weise die Geburt, so wie die Disen (Geburtshelferinnen) es tun. Die Nornen bestimmen das Schicksal der Neugeborenen. Die weiße Norne verteilt Geschenke. Die schwarze Norne legt den Zeitpunkt des Todes fest. Die rote Norne verbindet den Anfang des Lebens mit seinem Ende. Gemeinsam weben alle drei den Teppich des Lebens für das neugeborene Kind.

Der erste Schluck der Muttermilch hieß übrigens einst Nornengrütze. Es heißt die Mütter opferten sie den Schicksalsweberinnen, um sie Milde zu stimmen.

In der Fafnismál fragt Sigurd den Drachen Fafnir:

Laß dich fragen, Fafnir,
da du vorschauend bist
Und wohl manches weißt:
Welches sind die Nornen,
die notlösend heißen
und Mütter mögen entbinden?

Fafnir:
Verschiedenen Geschlechts
scheinen die Nornen mir
Und nicht eines Ursprungs.
Einige sind Asen,
andere Alfen,
Die dritten Töchter Dwalins.

Nacht wurde es im Gehöft,
Nornen kamen,
die dem Edlen
die Lebenszeit schufen;
sie bestimmten, dass dieser Heerführer
der berühmteste werde
und als der Fürsten
bester erscheine.

Ich sah Walküren
weither kommen,
Bereit zu reiten
zum Rat der Götter.
Skuld hielt den Schild,

Illustration von: Constantin Hansen 1804 - 1880

Einst rief ein Vater drei weise Frauen zu sich, um das Schicksal seines Sohnes bestimmen zu lassen. So beginnt eine alte Geschichte, welche sehr an das bekannte Märchen Dornröschen erinnert.

An der Wiege des Kindes standen zwei Kerzen, welche vor dem Alp schützten sollten, so dass dieser kein Wechselbalg unterlegen könne.

Die Frauen sagten dem Sohn Glück voraus und er solle mächtiger werden als alle seine Verwandten je zuvor. Die jüngste Norne fühlte sich nicht genügend vom Hause beachtet. Zornig rief sie aus, dass das Kind nicht länger leben solle als die angezündete Kerze, welche hier brennt.

Die Älteste der Nornen griff blitzschnell nach dem Licht, pustete es aus und gab es der Mutter. Diese wiederum gab es später dem Sohne als er Erwachsen geworden war und sich die guten Wünsche der Nornen erfüllt hatten.

Als er 300 Jahre alt war, so ward er das Leben leid und wollte sterben. Er griff die Kerze, entzündete sie und starb sobald sie abgebrannt war und die Flamme erlosch.

 

Trägst du Nornenspuren?

Einst legten die Menschen Fingernägel und furchterregende Krallen in das Bett, denn sie fürchteten die drei Nornen. Sie hatten Angst davor, dass die Nornen sie im Schlafe holen.

Auf den Faröern heißen die weißen Flecken auf den Fingernägeln noch heute Nornenspuren. Sie, so sind die Menschen dort überzeugt, verkünden das Schicksal der Menschen. Weiße Flecken auf den Fingernägeln des Mannes besagen, dass ihn so viele Frauen lieben, wie er Liebestropfen an sich trägt. Je größer die Liebe, desto größer der Tropfen.

Anders in Norwegen: Dort verbrennen oder vergraben sie die abgeschnittene Nägel. Die Menschen glauben, sonst formen die Elben Kugeln davon, mit welchen sie auf das Vieh schießen.

In Dänemark sollen blaue und gelbe Flecken auf den Händen von gespenstischen Wesen stammen.

In Island bedeuten am Abend geschnittene Nägel einen sanften Tod.