Hierzulande kennt wohl so gut wie jedes Kind Frau Holle.

Sie ist die alte, strenge Frau aus dem Märchen, welche der einen Marie das Gold und der anderen Marie das Pech schenkt. Doch ist Frau Holle viel mehr, als nur eine Gestalt der Gebrüder Grimm. Sie ist eine alte, eine wirklich uralte Göttin.

Sie hat viele Namen. Sie ist die Huld, die Holde oder einfach auch nur Holle. Der Name selbst stammt von dem Adjektiv hold ab. Im Gotischen (hulþ) und im protogermanischen (urgermanischen) war dieses Wort bereits in Gebrauch. Eine Göttin namens Hludana verehrten die Stämme am Mittelrhein bereits im 2. Jahrhundert.

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Der Frau Holle Teich

Im Norden von Hessen befindet sich das Bergmassiv Hoher Meißner. In diesem liegt ein unscheinbarer Teich. Geburtshelferkröten laichen dort. Er wirkt verwunschen mit seinem dichten Röhricht ringsumher.

Es heißt in diesem Teich lebt Frau Holle.

Die Legende erzählt von einem silbernen Schloss am Grunde des Teiches, in welchem Frau Holle lebt. Ab und an sah man sie aus dem Wasser aufsteigen und wieder verschwinden. Dem Landgraf Hermann zu Hessen-Rotenburg faszinierten diese Geschichten und so ließ er im 17. Jahrhundert forschen, was es mit all dem auf sich hat.

Er ließ den Teich beobachten und Augenzeugen berichteten von „einem Weibsbild“, dass sie gesehen hätten. Auch die Gebrüder Grimm hörten von diesen Sagen und suchten am 22. Juli 1821 den Ort auf. Die Geburtsstunde des allseits beliebten Märchens war gekommen.

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Funde am Frau Holle Teich

Landgraf Hermann zu Hessen-Rotenburg und die Gebrüder Grimm waren nicht die Einzigen, die der alten Legende folgten. Archäologen zeigten Interesse an den alten Geschichten. Sie fanden grün lasierte Glasscheiben aus der Zeit um 1600 und Goldmünzen aus der Zeit 81 bis 96 nach Christus.

Karl Kollmann, ein Historiker, vermutet, dass der Teich schon vor mehr als 2000 Jahren als Wunschbrunnen genutzt wurde. An dieser Stelle sehen wir auch gleich, wie alt die Tradition schon mindestens sein muss, Geld in einen Brunnen zu werfen, um sich etwas zu wünschen. Kollmann und andere Forscher alter Mythen haben herausgefunden, dass allein im Umfeld des Hohen Meißners circa 20 Grotten, Quellen und Felsbrocken eng mit Frau Holle verbunden sind.

Das Land ringsumher ist magisch und seit wenigen Jahren heißt die Gegend nun „Frau Holle Land„, sogar mit einem eigenen Frau Holle Hotel.

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Frau Holle gab es vor den Brüdern Grimm

In einem Dekret des Bischofs Burkhard von Worms (*965, ♱ 1025) ist von einer Hexe Hulda die Rede, welche zu den nachtfahrenden Frauen gehörte. Diese Frauen können durch die Lüfte reisen und bedienen sich verbotener Zauberei.

Frau Holle findet sich in so vielen Gegenden, die an dieser Stelle gar nicht alle genannt werden können.

ForscherInnen sind sich indes weitestgehend einig. Frau Holle ist eine Form der Großen Mutter, welche in allen Hochkulturen zu finden ist. Sie ist eine Erd- und Unterweltgöttin, welche die Fruchtbarkeit verkörpert, mit der Kunst des Ackerbaus verbunden ist und die Magie beherrscht.*

So ist auch heute noch bekannt, dass Frau Holle es im Winter schneien lässt – was mich auch stets an Cailleach, der Wintergöttin im keltischen Raum erinnert. Annette Rath-Beckmann, die einen „Forschungskreis zur Mythologie der Göttin Holle“ gegründet hat, ist sich sicher, dass Frau Holle Kräuterkunde betrieb und vor allem mit dem Wacholder und dem Holunder eng verbunden ist.

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Frau Holle und Frigg

„Das arme Mädchen mußte sich täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und mußte so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den Fingern sprang.“

So heißt es zu Beginn des Märchens.

Das Spinnen kennen wir von einer anderen nordischen Göttin, ihr Name ist Frigg. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, den Schicksalsfaden zu spinnen, welchen sie den Nornen überreicht, damit diese daraus das Wyrd der Menschen weben. Frigg ist die Gattin von Odin. In den Rauhnächten reitet sie an der Seite ihres Gemahls mit der wilden Jagd durch die Lüfte. Das Spinnrad steht still.

In alten Fabeln reitet auch Frau Holle durch die Nacht und heutzutage liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei beiden Figuren um ein und dieselbe Person handelt. Besonders eine letzte Rauhnacht, die Hollenacht, ist eng mit der großen Göttin verbunden. Es ist die Nacht des 6. Januar, die Nacht der Saligen, der wilden Frauen, der drei heiligen Jungfrauen.

An diesem Abend wird ein Gericht aus Hafer und Fisch gekocht. Die Speisen werden gemeinsam verzehrt, ein Teller jedoch wird der Holle hinaus gestellt. Auch ist es üblich, in den Rauhnächten den Apfelbaum zu schütteln und um Frau Holles Segen für eine gute Ernte zu bitten.

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Die Verdrängung der Frigg und die Wandlung hin zur Frau Holle

Der Einfluss Roms auf die Germanen war stark im 4. und 5. Jahrhundert und so verschmolz Frigg immer mehr mit Diana, ihrem italienischen Pendant.

In mittelalterlichen Handschriften wird sie oftmals „Hulda“ genannt.

Irische Wandermönche missionierten die Ur-Germanen im 8. Jahrhundert. Dem Heidentum wurde vielerorten der Garaus gemacht. Irminsul, eine große Säule aus der Heidenzeit ließ Karl der Große 722 zerstören. Die Donareiche, dem Gott Thor geweiht, ließ Bonifatius im Jahr 723 fällen.

Es brach eine Zeit heran, in derer der Name Frigg nicht mehr ausgesprochen werden durfte. Das Volk der Bauern indes ließ sie in Frau Holle und ihren vielen weiteren Namen weiter leben. Eine ihrer Geschichten fand den Weg in eines der berühmtesten Märchenbücher der Welt.

Die Percht aus dem Alpenraum ist im Übrigen auch niemand geringeres als Frigg oder die Holle selbst. Sie hat dort nur einen eigenen Namen. Die einstige Wolkenfurie der Wilden Jagd war spätestens nach der Erklärung des Klerus es handle sich um „eine Teufelin“, zur biederen Märchenfigur verkümmert.

Immerhin dürfen Gold- und Pechmarie noch durch den Brunnen in die Anderswelt reisen und Frau Holle beherrscht weiterhin die Kunst, es auf der Erde schneien zu lassen.

Frau-Holle-Heimchen

Die Holle und die Kinderseelen

Mit Frau Holle leben im Teiche am Fuße des Hohen Meißners auch die ungeborenen Kinder. Neugeborene, so heißt es, kommen aus diesem Teich. An anderer Stelle ist die Rede davon, dass Frau Holle diese Kinderseelen (Heimchen) bei der Wilden Jagd unter ihrem Mantel trägt und sie an die Frauen verteilt, welche darum bitten.

Es heißt auch, dass sie alle Seelen der im vergangenen Jahr verstorbenen Säuglinge und Kleinkinder einsammelt und sie fortan bei ihr in der Unterwelt leben. Dies führt dazu, dass sie mitunter auch mit Hel in Verbindung gebracht wird.

Sie beschützt auch die lebenden Kinder, wenn ihnen Unrecht widerfährt.

Nahe des Frau Holle Teiches befindet sich ein Höhle, die Kitzkammer. Dort leben Frau Holles Katzen, nur sind diese gar keine Katzen, sondern Mädchen. Diese Mädchen waren so faul, dass Frau Holle sie in Katzen verwandelt hat und diese nun für alle Zeit ihr zu Diensten sein müssen.

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Übrigens – Die Holle liebt Ordnung

Unordnung und Faulenzerei kann die Holle gar nicht leiden. Ist dein Zuhause in den rauhen Nächten nicht aufgeräumt, so hoffe inständig, dass Frau Holle es nicht sieht. Bemerkt sie es, so sei gewiss, dass im kommenden Jahr ein Unglück das nächste jagt. Du kannst es halten wie unsere Vorfahren und dein Heim in den 12 Sperrnächten vor den Rauhnächten in Ordnung bringen.

Es heißt auch, dass sie armen, aber tüchtigen Familien einen Speisentopf schenkt, der sich niemals leert. Andernorts ist von einem Apfelbaum die Rede, der so viele Früchte trägt, dass die Ernte reichlich ist. Die Familie kann fortan Apfelwein herstellen und gut verkaufen.

Sie soll fleißigen Spinnerinnen auch schon so manches Mal die Arbeit fertig gestellt haben, wenn diese schliefen. Waren sie aber faul, so vernichtete sie auch gerne mal die bereits getane Arbeit und sie durften von vorne beginnen.

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Hüterin von Quellen, Seen und Teichen

In das Reich der Holle kann man über das Wasser gelangen. Sie ist mit den Seen, Teichen und Quellen eng verbunden. Ihr Reich liegt am Grunde der Gewässer. Wie im Märchen geschildert, kann aber auch über einen Brunnenschacht das Reich der Holle betreten werden.

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Die Nebelmaiden

Im November liegt der Norden Europas zumeist im Nebel, dann ist es eine gute Zeit, um die Holle zu entdecken. Sie wandelt mit dem Nebel, begleitet von den Nebelmaiden, auch Hollen genannt. Gemeinsam ziehen sie über die Landen und helfen sowohl Frau als auch deren Kinder.

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Der Holunder

Die Holle ist ebenso mit dem Holunder verbunden. Er trägt nicht von ungefähr auch den Namen Holler. In einigen Geschichten werden die Blüten des Hollers zu Schnee, der auf die Erde fällt.

Ein Holler darf nicht gefällt werden, ohne ihn vorher um Erlaubnis zu bitten. In ihm leben die nachtfahrenden Hexen. Es ist der Holle liebster Baum. Sie nutzt ihn gerne um durch die Welten zu reisen.

Im keltischen Raum entspricht die bereits erwähnte Wintergöttin Cailleach der Frau Holle. Sie ist die weise Alte der keltischen Triade, die Göttin der Dunkelzeit. Auch ihre Macht erhalten die drei durch einen Holunderstab.

In der Nähe des Eingangs von alten Bauernhäusern findet sich oft ein Holunder, denn in früheren Jahren wussten sie noch, dass er Glück bringt und das traute Heim schützt.

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Résumé

Frau Holle ist eine uralte Göttin, vielleicht aus dem Geschlecht der Riesen selbst stammt. So taucht die Riesin Hulda in der altnordischen Sturlunga saga auf. Snorri Sturluson, der die berühmte Snorra-Edda schrieb, erwähnte Huld in der Ynglinga saga. Huld ist dort eine große Zauberin mit seherischen Kräften.

Ihr Name hat sich aus einem Verbot der alten, heidnischen Gottheiten geformt. In einer Zeit, als die uralten Göttinnen nicht mehr genannt werden durften, fanden sich neue Wege altes Wissen zu erhalten. So lebte statt der Frigg die Frau Holle in scheinbar harmlosen Märchen und Sagen weiter. Sie wurde jedoch vor allem in dem Märchen der Gebrüder Grimm so stark mit christlichen Tugenden durchtränkt, so es kaum noch an ihr einstiges göttliches, teils auch wildes Wesen erinnert.

Hier aber stehen wir noch heute, tausende Jahre später, und erzählen von der großen Frigg, die hinter der Frau Holle lauert.

Gib acht in den Rauhnächten, ob sie dir nicht vielleicht begegnen wird. Sei gut zu jedem Hollerbusch und vergiss ein kleines Opfer nicht.

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Warte einmal, ich habe da noch etwas für dich. Im folgenden Video lese ich aus meinem Buch „Der alte Pfad und die Rauhnächte“ das Kapitel über Frau Holle – Die Göttin im Holunder vor.

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Quellen:

  • Das Geheimnis der Schneefee – Online Artikel im Spiegel, Ausgabe 15 /2017 http://www.spiegel.de/spiegel/maerchen-forscher-suchen-die-wahre-frau-holle-a-1142418.html
  • Ásatru – Die Rückkehr der Götter, zusammengestellt von Kveldúlf Hagan Gundarsson, Deutsche Ausgabe erweitert und heruasgegeben von Kurt Oertl, Edition Roter Drache; Auflage: 3 (20. Oktober 2015)

*) Darstellung der Philosophin Heide Göttner-Abendroth