Baldur! Diesen Namen hören wir oft, wenn es um die Sonnenwendfeste im Jahreskreis der alten Germanen geht. Es ist zu lesen, er sei der Sonnengott, welcher zu Mittsommer stirbt und zur Wintersonnenwende aufersteht. Aber ist das so? Ist der Sohn von dem größten Schamanen der nordischen Mythologie Odin und der Mutter-Göttin Frigg wirklich ein Kind des Lichtes, der Sonnengott der Germanen, der heidnische Messias?

Baldurs Geschichte ist vor allem durch den wirklich spannenden Mythos rund um seinen Tod bekannt. Jeder Heide, der sich für die Geschichten der Nordischen Mythologie interessiert, hat schon einmal davon gehört. Wer Baldur aber zu seinen Lebzeiten war, das liegt im Ungewissen.

Warum hat der große Gott Odin seinen Sohn nicht gerettet, wenn er doch so mächtig war? Was sprach Odin zu Baldur auf dessen Totenbett in sein Ohr? Niemand weiß es und wird es je erfahren, außer Odin und sein Sohn selbst.

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Baldur, der Sohn von Odin und Frigg – Ist er wirklich ein Sonnengott?

Ich mache es kurz und schmerzlos. Nein, Baldur ist kein Sonnengott. Die Sonne ist in der Nordischen Mythologie einer weiblichen Gottheit zugeordnet, der Sunna, auch Sol genannt. Der Mond ist im übrigen männlich und ihr Bruder Mani. Gerne auch zum Nachlesen: Woher kommen Sonne und Mond?

Kommen wir also zurück zu unserem strahlenden und allseits beliebten Gott. War er kein Sonnengott, was war er dann?

Baldur scheint vielmehr ein tollkühner Held gewesen zu sein. Das zeigt sich auch in seinem Namen, der vermutlich von Baldhere abstammt, was so viel wie „kühner Herr“ bedeutet.

Saxo Grammaticus, ein dänischer Geschichtenschreiber, geht sogar so weit, dass Baldur und sein Bruder Hödr keine göttlichen, sondern menschliche Helden sind. In seiner Geschichte ist Hödr auch kein Bruder Baldurs und ebensowenig ist er blind. Er tötet Baldur hier nicht aus Versehen, wir kommen gleich dazu. Nein, er erschlägt Baldur aus Eifersucht und mit voller Absicht mit dem Schwert, weil sie um ein und dieselbe Frau buhlten. Eine Wiedergeburt des nunmehr toten Gottes, so wie in der Edda, gibt es in dieser Version der Geschichte nicht. Aber das nur am Rande.

Viele Geschichten rund um Baldur sind im Umlauf. In allen wird ein Quäntchen Wahrheit enthalten sein, aber das eigentliche Leben des Baldur bleibt uns verborgen.

Eine der Geschichten ist die von Snorri Sturluson. Du findest sie in Gylfis Täuschung, Kapitel 49.

Das Leben des Baldur

In Sturlusons sogenannter jüngeren Edda ist Baldur der Beliebteste aller Götter. Er ist schön, gütig und sittsam. Ein Götterjunge im Jesuskleid und es ist anzunehmen, dass der christliche Einfluss auf Snorri Sturlusons Geschichten recht hoch war.

Wie dem auch sei. Baldur wurde gezeugt, als Odin auf Reisen war. Seine Brüder Wili und We regierten derweil die Landen und machten sich nebenbei an seiner Frau Frigg zu schaffen. Das Resultat dieser Buhlschaft ist Baldur.

So liebreizend Baldur auch war, es quälten ihn schlimme Alpträume seines eigenen Todes.

Wagen wir einen kurzen Schwenk zur Älteren Edda, den Götterliedern. Hier sagte diesen Tod bereits die Weissagung der Seherin (die Völuspá) voraus, nachzulesen beispielsweise bei Arnulf Krause, Vers 31-33.

31

Ich sah Balder, dem blutenden Gott,

Odins Kind, das Schicksal bestimmt,

gewachsen war, überm Feld hoch,

schmal und sehr schön, der Mistelzweig

32

Aus diesem Holz wurde, das dünn schien,

das gefährliche Harmgeschoss, Höd schoss es;

Balders Bruder war schnell geboren,

Odins Sohn begann eine Nacht alt zu töten.

In diesen Versen ist mit Balders Bruder vermutlich der Gott Wali gemeint, der Balder rächt und Höd tötet.

Kommen wir zurück zu Sturluson.

Frigg ließ aufgrund der Alpträume ihres Sohnes alle Wesen der Welt schwören, dass sie ihrem Sohn nichts antun würden. Allen, außer einem noch recht jungen Mistelzweig, den sie nicht für wichtig hielt.

Baldurs TodDie Götter testeten den Schwur und bewarfen Baldur mit Waffen. Es geschah ihm nichts. Loki erfuhr, listig wie er ist, als alte Frau verkleidet von Frigg selbst, dass die Mistel nicht zum Schwur gebeten wurde. Er schnitzte aus der Mistel einen Zweig und gab sie dem blinden Hödr, Baldurs Bruder. Das Schicksal nahm seinen Lauf.

Der Tod Baldurs

Der Mistel-Pfeil tötete Baldur. Frigg wollte ihren Sohn zum Leben erwecken und Hel willigte schlussendlich ein. Weinten alle Wesen um Baldur, so Hel, soll er aus dem Reich der Toten entlassen werden. Die Riesin Thök, welche abermals eine Verwandlung Lokis darstellte, trauerte nicht. Die Götter erkannten Loki, schnappten ihn sich und fesselten ihn bis Ragnarök an einen Felsen.

Baldur konnte von den Toten auferstehen.

Die Völuspá

Die Geschichte Sturlusons scheint an die Geschichte von Gottes Sohn angelehnt zu sein. Die Völuspá, die Weissagungen der Seherin, spricht davon, dass Wáli, ein weiterer Sohn Odins, den unglückseligen Hödr erschlug. Die Seherin prophezeit die Auferstehung von Baldur und Hödr zu Ragnarök, zu der Zeit also, wo aus dem zerfallenen Reich ein neues entstehen soll. In dieser neuen Welt soll Baldur an der Seite von Odin die Herrschaft übernehmen.

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Wer war nun eigentlich Baldur?

Drei Versionen der Geschichte und weitere noch sind zu finden.

Nicht alle Götter trugen Namen. Freyr und Freyja sind Titelbezeichnungen. So wird es auch bei Baldur vermutet. Baldur ist eine häufig verwendete Form für Herrscher im Angelsächsischen, mitunter auch im Altnordischen. Die Adjektivform ist baldr, was ‚kühn‘, ‚mutig‘ und auch ‚beherzt‘ bedeutet. Auch seine Frau Nanna spiegelt den Aspekt des Mutes in ihrem Namen wieder, so bedeutet er höchstwahrscheinlich ‚die Mutige‘ oder auch die ‚Schlachten-Freudige‘.

Es ist wesentlich wahrscheinlicher, dass Baldur ein mutiger Gott und Krieger war, als dass wir ihn als Vorläufer von Christus sehen, der Liebe und Mitgefühl predigte. Letzteres passt einfach nicht zu den germanischen Göttersagen.

Einig sind sich die Geschichten indes, dass Baldur seinen Tod vorausahnt. In der Geschichte von Snorri träumt Baldur immer wieder davon. Bei Saxo Grammaticus verspricht die Göttin der Unterwelt dem Gott Baldur liebevolle Umarmungen. Die dunklen Göttinnen lieben Baldur. Skadi wünscht ihn sich zum Manne und Hel beginnt ihr Reich zu schmücken und den Met zu kochen, als seine Ankunft im Reich der Totengöttin naht.

Baldurs Götterhalle heißt ‚Breidablik‘, die ‚Breit-Strahlende‘. Keine ‚Stäbe des Leids‘, ‚feiknstafir‘, können dorthin gelangen. Seine Frau ist die Kriegerin Nanna, sein Sohn der Gott Forseti.

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Welche Rolle spielt Odin?

Odin hat einige seiner Kinder auf dem Gewissen. Er entscheidet ebenfalls gern über das Ableben seiner Krieger. Seine Art ist es, ihnen zuerst seine Gunst zu schenken, um sie dann dem Tode zu weihen. Odin braucht diese tapferen Männer in Walhalla, wo sie sich auf die letzte Schlacht zu Ragnarök vorbereiten.

Baldur ist der Einzige, der nicht nach Walhall geschickt wurde und doch wird vermutet, dass Odin der eigentliche Drahtzieher hinter Baldurs Tod ist. Er braucht Baldur aber nicht für die letzte Schlacht, sondern für das Leben danach. So hat es die Seherin vorhergesagt.

Hödr ist ein anderer Name für ‚Krieger‘ und Odin selbst trägt mitunter die Beinamen ‚Tvíblindi‘ (der auf beiden Augen Blinde) oder auch ‚Helblindi‘ (der Hel-Blinde). Vielleicht war Odin Hödr selbst, der seinen Sohn mit dem Pfeil der Mistel durchbohrte, so zumindest vermuten es die Gelehrten.

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Baldurs Tod, eine Initiation?

Sein Vater Odin hing vom Speer durchbohrt am Weltenbaum Yggdrasil. Er stirbt an diesem Baum, sinkt zu Boden und steht wieder auf. Zum Lohne ersann er die Runen und war weiser und mächtiger als je zuvor.

Baldurs Tod kann ebenfalls als ein solches Initiationsritus gesehen werden. Er stirbt am Ende seiner Jungend und kehrt als Mann und Herrscher zurück. Da Baldur, wie schon erwähnt, nicht zu den Kriegern nach Walhalla geht, stirbt er auch nicht zu Ragnarök, sondern wartet sicher im Reich von Hel.

Da er nach der Schlacht zusammen mit seinem Vater die Macht der Götter wieder herstellt, ist Baldurs Wiedergeburt auch gewissermaßen eine Wiedergeburt Odins.

Die Initiation von Baldur ist im Großen zu denken. Sein Tod kündigt den Untergang der Welt an. Alle Wesen trauern um Baldur und im übertragenen Sinne um das bevorstehende Ende ihres Daseins.

Waren es jene Worte, die Odin seinem Sohn in das Ohr flüsterte, ehe die Flammen ihn verschlingen sollten? Vielleicht offenbarte er Baldur das Wissen, dass er auferstehen wird und mit ihm eine neue Welt entsteht.

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Baldurs Vermächtnis

Baldur war bei den Wikingern augenscheinlich sehr beliebt. In Schweden und Dänemark tragen noch viele Orte seinen Namen.

Die Mistel ist seine Pflanze. Sie ist selbstredend eng mit dem Gott Baldur verbunden. Schon immer wurde die Mistel als Pflanze angesehen, die den Weg in die Unterwelt ebnet, aber auch von dort wieder heraus führen kann. Die Farbe Baldurs ist weiß, so dass Gänseblümchen und andere weiße Korbblütler als heilige Pflanzen Baldurs angesehen werden. Diese Pflanzen werden Baldurs Braue genannt. Das gilt auch für die Strandkamille auf Island.

Baldur ist der Hoffnungsträger. Er ist der Gott, der aus dem Alten etwas Neues entstehen lässt. Sein Dasein zeigt, dass nicht einmal Ragnarök es vermag, die Dunkelheit für immer herrschen zu lassen. Trinken wir auf Baldur zur Sommersonnenwende, wenn sein Tod unvermeidlich ist. Erheben wir unser Glas zur Wintersonnenwende und danken ihm für die Weisheit, dass nichts je verloren ist.


Quellen für das Bildmaterial

Titelbild: Auszug aus dem Bild „Odin’s last words to Baldr'“, The Elder or Poetic Edda; von Olive Bray. Illustration von W.G. Collingwood (1908), S. 39

Bild im Text: „Baldur the beautiful is dead“ aus dem Buch „A Book of Myth“, von Jean Lang, Originalausgabe von 1915, New York: G. P. Putnam’s sons; London, T. C. & E. C. Jack, S.241

Quellen für den Inhalt

Ásatru – Die Rückkehr der Götter, zusammengestellt von Kveldúlf Hagan Gundarsson, Deutsche Ausgabe erweitert und heruasgegeben von Kurt Oertl, Edition Roter Drache; Auflage: 3 (20. Oktober 2015)

Das Heilige Fest: Rituale des traditionellen germanischen Heidentums in heutiger Zeit, Fritz Steinbock, Edition Roter Drache; Auflage: 3 (29. August 2014)

Nordische Mythen und Sagen, Neil Gaiman, Eichborn; Auflage: 3. Aufl. 2017 (16. Februar 2017)

Nordische Göttersagen, Waldtraut Lewin, Loewe Verlag; Auflage: 1 (15. Februar 2016)

Die Edda: Nordische Götter- und Heldensagen, Simrock, Karl; Nikol Verlag (1. September 2014)