Nerven sie dich auch? All die guten Ratschläge, die wohl gemeinten Tipps von allen Seiten, wie wir uns motivieren können und dazu diese ganzen esoterischen Lügen und Verdrehungen.
Liest du immer wieder, wie glücklich du sein kannst, für alle Zeit, für IMMER!
Ja genau das wollen wir! Glücklich sein für alle Zeit – oder nicht?
Sei anders und alles wird wunderbar
Wir versuchen uns jeden verdammten Tag in dieser Welt zu behaupten. Wir versuchen über uns hinaus zu wachsen. So viele Ratgeber oder überall aus dem Boden sprießende Life-Coaches versprechen uns Erleuchtung, ewiges Glück, Mut, Sonnenschein und Zuckerkuchen.
Ich bin es leid. Es macht mich mitunter sogar wütend.
Warum darf ich nicht einfach SEIN. So wie ich bin! Genau so!
Muss ich denn immer mutig sein oder so tun, als ob ich es wäre? Aha! Ich soll also einfach nur meinen inneren Schweinehund überwinden und überhaupt soll ich ALLES ganz ANDERS machen. Es wird mir ein besseres Leben versprochen, aber dafür müsste ich mich schon ändern. Sonst wird das in dieser Daseinsphase nichts mehr.
Wärst du nicht so faul, so träge, so dick, so arm, so phlegmatisch, so ängstlich, so zögerlich … sondern voller Elan, gertenschlank, natürlich reich, immer während glücklich und vor allem stets in Liebe – dann würde es sofort etwas werden mit dem Glück.
Sei anders und es wird dir ein besseres Leben beschert. Gewiss!
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Ich will aber nicht!
Vielleicht liebe ich ja meinen Schweinehund über alles, vielleicht zögere ich und spüre Ängste, die mich vor Katastrophen bewahren. Vielleicht habe ich auch keine Beziehung, die immer leicht und rosarot ist, aber dafür ehrlich. Mit Wahrheiten die schmerzen können. Manchmal mehr, als wir zu ertragen scheinen. Nein eine Liebe ist nicht nur rosarot! Sie ist bunt und mitunter auch schwarz und blutrot. Sie kann zart wie Pfirsichblüten sein und energetisch wie ein Sommergewitter.
Ich liebe diese komplizierte Welt! Ich denke gerne über komplizierte Dinge nach. Die Tiefe suche ich. Sie ist es, die mich interessiert.
Ich bin nicht perfekt, ich sehe nicht wahnsinnig toll aus. Ich bin keine absolut optimierte Version meiner Selbst. Und vielleicht ist genau das ganz gut so. Es mag dich verwundern, aber ich bin damit nicht allein. Es gibt mehr von uns da draußen. Wir wollen nicht auf Plüschwolken schweben und mit einem Dauergrinsen durch das Leben hüpfen.
Ja es gibt durchaus Menschen, die nicht das Optimum als absolut erstrebenswert ansehen, die es sogar langweilig finden.
Ich habe Phasen, in denen ich nur mit Schwierigkeiten zu etwas zu motivieren bin. Ich faulenze auch ganz gerne vor mich hin.
Soll ich ein Geheimnis verraten? Ich bin stolz darauf, es bereitet mir Freude. Und nein, ich habe keine Angst, etwas zu verpassen.
Ich bin gerne der Mensch, der ich bin. Ich bin vollkommen ich – selbst und frei. Ja, ich bin zum Entsetzen mancher Zeitgenossen gänzlich suboptimal. Ich werde immer wieder einmal als seltsam empfunden, als anders. Ja und?
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Wer nicht hören will, muss fühlen!
Geht es dir immer gut? Also ehrlich, mir nicht! Das ist okay. Für mich ist das absolut in Ordnung. Für Andere eher weniger: Hättest du nur! Ja hättest du doch nur dieses Buch gelesen …, wärst du doch jeden Tag zum Yoga gegangen …, hättest du doch jeden Morgen meditiert …, hättest du doch diesem Guru besser zugehört …, dieses Produkt konsumiert …, dieses Kraut verräuchert …, diesen Stein aufgelegt …, dieses Heilkraut probiert …, diesen Trend nicht belächelt. Hättest du doch! Hey, dann würdest du jetzt nicht so in der Patsche sitzen!
Wer nicht hören will, muss fühlen!
Nun hast du den Ärger und kannst nicht dort sein, wo wir alle hinstreben, dorthin wo es so schön ist, so aufgeräumt, klar und gut. Wo es keine Falten gibt, deine Muskeln aus Stahl sind und natürlich alles wohlgeformt. Du könntest so eine einnehmende Ausstrahlung haben und nicht immer dieses Trauergesicht. Du könntest längst erfolgreich sein, sexy, die Traumhochzeit mit Hunderten von Freunden feiern. Mensch, die ganze Welt stände dir offen, sie würde sich förmlich vor deine Füße werfen.
Ich lege meinen Kopf leicht schief, sogar ein kleines amüsiertes Lächeln gelingt mir, ich zwinkere dir kurz zu und sage: NEIN!
„Weißt du“, werde ich dir sagen: „dieser Schlipsträger dort mit dem fetten Konto, der ist nicht mein Typ. Hey, da bleibe ich lieber allein. Ich habe nichts gegen Geld, ehrlich nicht, aber ein gefülltes Konto allein motiviert mich nicht. Ich werde keine Dinge tun, für die ich nicht brenne. Und meinen inneren Schweinehund liebe ich mehr als deine Schönheitstricks. Es ist meine Patsche, in der ich sitze! Ich werde und ich muss mich da jetzt hinein steigern, wenn ich das will. Ich werde es durchleiden, weil ICH mich dorthin gebracht habe. Ich bin die Irrwege gelaufen und ich war es, die durch die Art zu leben all die Verkettungen meiner eigenen umständlichen Erlebnisse geflochten hat. Das alles bin ICH!“
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Das ist verflixt noch mal mein Weg
Das Paradies, die Erleuchtung und die ewige Weisheit sind anscheinend durchaus erstrebenswert, aber ich zögere und überlege kurz wie überfüllt dieser Ort wohl sein mag, den alle erreichen wollen. Ist ja schließlich ein Dauerbrenner und hoch im Kurs.
Ich genieße mein Zögern. Es fühlt sich an, als würde ich schweben. Es ist meine Art der Freiheit. Es ist ein Geschenk an mich. All meine Gedanken und Empfindungen haben Zeit sich zu entfalten, den Raum zu wachsen. In der Zeit des Zögerns kann ich mich erforschen, mich kennenlernen. Es gibt so viel zu sehen. Es sind so viele Seiten, die betrachtet werden wollen. Ich muss ganz ich selbst sein und dann werde ich vielleicht finden, wer und was ich wirklich bin. Kein Guru dieser Welt wird mir das erklären können, dessen bin ich mir gewiss.
Mich macht so vieles aus und ich erforsche es mit all meinen Sinnen. Ich begrüße meine Ängste, denn ich möchte sie kennenlernen. Ich lausche meinen Dämonen, denn auch sie zeigen mir, wer ich wirklich bin. Ich freue mich über jede weitere Erfahrung, die mich lehrt etwas zu vermeiden und ich finde es spannend zu erkennen, dass ich manchen Dingen lieber aus dem Weg gehen sollte, da sie unangenehm sind. Ich versage und lerne zu verlassen, was mir nicht gut tut. Ich finde Entscheidungen, wenn es an der Zeit ist, dass sie getroffen werden müssen.
Ich gönne mir mein Zögern, denn in all diesen Momenten und selbst, wenn sie ewig währen sollten, bin ich trotzdem immer noch ich selbst. Es ist mein ganz eigener Weg – mit all seinem Zögern, seinen Umwegen und Ängsten. Ein suboptimaler, verschlungener, chaotischer, teils verstörender Weg, aber es ist mein Weg!
Kein Mensch muss ihn verstehen oder ist gezwungen mich zu sehen.
Niemand hat das Recht mich zu verbiegen, niemand kann über mich bestimmen. Ich werde kein Fernstudium machen, weil mein Gegenüber es so will. Ich werde keine Fortbildung machen und keinen Kurs besuchen. Niemand wird je das Recht haben darüber zu bestimmen, was ich zu tun habe.
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Möglicherweise …
Möglicherweise lebe ich eine Beziehung, die kompliziert ist, aber vielleicht will ich sie dennoch genau so. Wer sagt denn, dass etwas leicht sein muss, um wahrhaftig gut zu sein? Möglicherweise bin ich zu dick. Wer sagt denn, dass ich dünn sein muss? Möglicherweise stört es dich, dass ich kein Make-up trage. Wer sagt denn, dass ich nicht ungeschminkt sein darf? Möglicherweise könnte ich eine der Besten sein. Wer sagt denn, dass wir immer ALLES geben müssen?
Möglicherweise könnte ich meinen Traum leben oder du den deinen. Es gibt vielleicht Dinge, die dies verhindern und sie haben ihre Berechtigung. Sie machen mich aus oder dich. Sie sind ein Teil von mir oder dir. Ohne sie wäre selbst der schönste Traum nur noch ein Albtraum.
Ich bin im Laufe meines Lebens vorsichtiger geworden, auch misstrauischer und in manchen Entscheidungen und Phasen etwas langsamer. Das ist gut so. Es sind die kuriosesten Freunde, die mich beraten und die mir immer helfen durch dieses Leben zu kommen. Der viel gepriesene Mut, Dreistigkeit, Durchhaltevermögen, Kraft, Furchtlosigkeit, Glaube, Zuversicht oder auch die pure Motivation gehören nicht dazu.
Da wäre aber mein innerer Schweinehund. Er ist ein lieber, echt gemütlicher Kerl. Wir lieben es auf der Couch zu kuscheln und einen freien Tag zu genießen. Mit ihm kann ich einfach nur sein. Da wären auch noch die Fehler, die Ecken und Kanten, die Brüche, die Falten, die Narben, die Nuancen, die Lücken. Sie alle sind meine Freunde, denn sie sind es, die es wirklich ehrlich mit mir meinen und die mich formen. Ich liebe sie. Mehr als die Makellosigkeit, die Perfektion. Ich strebe nicht nach Licht, sondern nach dem Wunder, dass erscheint, wenn das Licht bricht und Farben sichtbar werden.
Lasst mich wild sein.
Lasst mich frei sein.
Ich brauche eure Art zu leben nicht.
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Wie ist es mit dir?
Locken dich all die Versprechungen, die uns täglich über den Weg laufen? Triggern sie dich und geben sie dir das Gefühl, nicht genug getan zu haben, um das Glück zu verdienen? Es werden immer mehr, die ganz genau wissen, wie das Leben funktioniert und es dir gerne für zwei-, drei- oder auch locker schon mal viertausend Euro erklären. Sie lächeln immer, strahlen uns auf dem Bildschirm entgegen, haben nie ein Problem und wenn doch, dann kann es ihnen ganz bestimmt nicht die Laune verderben.
Es ist alles in Ordnung mit dir, immer und zu jeder Zeit. Ob du heulend in Sofakissen versinkst oder dir nach der Pizza auch noch ein Eis hinterher schiebst. Vermutlich findet dein Körper das nicht so prickelnd, aber es macht dich nicht zu seinem schlechteren Menschen. Es macht dich zu einem lebendigen Menschen daneben zu hauen, Fehler zu machen, mal gut und mal mies drauf zu sein.
Lass dir nicht erzählen, dass du dich ändern musst, weil du so nicht okay bist. Glaube ihnen nicht, wenn sie dir Wege zeigen möchten, die allein in lichtvolle Glückseligkeit führen. Wege, die ihnen die Taschen füllen und dein Herz nur immer weiter leeren, weil es einfach nicht funktionieren will.
Glaube an dich, an alles, was du bist. Liebe jede Macke an dir, jede Falte, jede Träne. Sei wer immer du sein möchtest. In dem Moment, wo du dir genau das erlaubst, hast du alles erreicht, was kein Coach der Welt je schenken kann – Zufriedenheit und tiefe Liebe zu dir selbst, frei von allen Bedingungen.